Duzen oder Siezen - ein paar Faustregeln im Arbeitsumfeld
„You can say you to me”
In Deutschland gibt es diesen Sprachwitz, den man einem ehemaligen Bundeskanzler zuschreibt, der überaus schlecht Englisch sprach. Es soll angeblich entweder Heinrich Lübke oder Helmut Kohl gewesen sein. Ob es überhaupt stimmt und wer es von beiden war, ist jedoch absolut ungewiss und scheint zur Legendenbildung zu zählen. Einer von ihnen soll also gegenüber einem englischsprachigen Staatsoberhaupt ganz jovial gesagt haben: „ You can say you to me!”
Ein/e Deutsche:r findet das sehr lustig. Ein/e englische/r Mutter- oder Zweitsprachler:in versteht wahrscheinlich gar nicht, was daran so lustig sein soll und zählt es zur Kategorie „typisch deutscher (schlechter) Humor!”
Erklärung: Das englische „you” klingt sehr ähnlich wie das deutsche „du”. Wenn man sich im Deutschen siezt und einer Person dann das „Du” anbietet, dann kann man das mit dem Satz ausdrücken:
„Sie können (ruhig) du zu mir sagen!” Dieses freundschaftlich gemeinte Angebot in der deutschen Sprache wurde wörtlich übersetzt und jede Übersetzungsmaschine im Internet wird es auch so übersetzen, obwohl es im Englischen keinen Sinn ergibt.
Redemittel:
Siezt man sich hier oder duzt man sich?
Ist hier das “Sie” üblich oder duzt man sich?
Sollen wir uns siezen oder können wir uns duzen?
Darf ich “du” sagen?
Wie soll ich Sie ansprechen? Mit “Sie” oder “du”?
Sie können ruhig “du” zu mir sagen.
Sie können mich gerne duzen.
Tipp am Rande: Gesetzt den Fall also ein/e Kolleg:in sagt den oben erwähnten Satz zu Ihnen, dann sollten Sie einfach mitlachen oder mit den Augen zwinkern und verstehen: es war ein humorvolles Angebot zum “du”.
In diesem Sprachwitz steckt bei näherer Betrachtung ein Stück Wahrheit über dieses Sprachthema, das nicht nur ein sprachliches Thema ist, da es um Umgangsformen geht. Wenn jemand im Deutschen das „du” anbietet, dann hat das neben dem rein Sprachlichen durchaus eine tiefere Bedeutung. Beispielsweise, dass es in einem bestimmten lokalen Umfeld die Norm ist und man damit in die (lokale) Gemeinschaft integriert wird. Es kann für ein cooles Umfeld sprechen, für ein freundschaftliches Angebot, für eine flache Hierarchien bis hin zu einer ganz persönlichen Symphatiebezeugung. Kann! Muss aber nicht!
Das Thema erfordert also ein wenig Fingerspitzengefühl.
„Du” und „Sie” im gesellschaftlichen Wandel
Wann und wo man jemanden mit „du” oder “Sie” anspricht, hat mit gesellschaftlichen Konventionen und Umgangsformen zu tun, für die es keine eindeutigen Regeln, sondern bestenfalls nur Faustregeln gibt. Sie sind somit in einer sehr beweglichen interkulturellen Zone angesiedelt - im Übrigen nicht nur für Deutschlernende, sondern auch für deutsche Erstsprachler:innen selbst. Da sich zudem Gesellschaft und Sprache im stetigen Wandel befinden, betrifft dies auch das Siezen und Duzen.
Ein kurzer Exkurs zum “Knigge”: Im Deutschen gib es seit 1788 ein Buch „der Knigge” – nach seinem Autor – genannt, das gesellschaftliche Benimmregeln beschreibt und ständig aktualisiert wird. Laut dem Knigge sollte man prinzipiell bei einer ersten Begegnung fremde Menschen immer siezen und erst, wenn von einer Person das „du angeboten wird zum Duzen wechseln. Mit Fragen wie: „Wollen wir „du” sagen?” oder „Sollen wir uns duzen?” Nach diesen ganz traditionellen Regeln sollte dieses Angebot auf alle Fälle von der älteren Person kommen. Das Thema ist in der (modernen) Realität jedoch komplexer...
Verlagerung zum „du”
Historisch gesehen kann man tendenziell in allen Bereichen eine Verschiebung hin zum „du“ beobachten. Unter Freunden und in der Familie ganz eindeutig, aber auch im geschäftlichen Bereich. Man duzt sich viel mehr als noch vor 50 Jahren. Es gibt vor allem junge Betriebe und Startups, in denen sich Kolleg:innen und Vorgesetzte prinzipiell duzen. Dies kann als sprachlicher Spiegel für eine flache Hierarchie betrachtet werden. In manchen Läden wird man sogar als Kunde geduzt, womit Unkonventionalität, Coolness und Nähe sprachlich vermittelt wird. In den Firmenregeln wird diese Ansprache gegenüber Kunden meist einheitlich geregelt und oft schriftlich fixiert.
Im Internet wird in der virtuellen Kommunikation öfter als im realen Umgang geduzt.
Es bleibt also meistens diese kleine Unsicherheit am Anfang.
Doch ganz so einfach und cool ist es natürlich nicht überall und laut Umfragen sogar in der Mehrheit der Situationen. Ein extremes Gegenbeispiel ist: Einen Polizeibeamten zu duzen gilt in Deutschland als “Beamtenbeleidigung” und könnte zu einer Geldstrafe führen. Das „du” wird also im amtlichen Bereich als Respektlosigkeit interpretiert. Lehrende an Staatsschulen müssen ihre Schüler ab 18 erst einmal siezen. Das „Du” muss dann gemeinsam ausgehandelt werden. Lehrende hingegen werden von Schülern fast ausnahmslos gesiezt. An der Universität wird bis auf wenige Ausnahmen zwischen Lehrenden und Studenten gesiezt. Student:innen untereinander duzen sich und ein „Sie” würde zwischen Kommiliton:innen sogar als antiquiert, arrogant oder ironisch interpretiert bzw. belächelt werden. Es gibt zudem auch regionale Unterschiede. In einer Stadt wie Berlin wird unter Fremden öfter geduzt als beispielsweise in München oder Hamburg. Ganz geschweige von den Mischformen, denn im Deutschen gilt eigentlich die Regel:
Duzen mit dem Vornamen und Siezen mit Herr/ Frau + Familienname.
Man kann aber auch hören: „Maria, könnten Sie mir bitte die Bilanzen raussuchen?” – eine Art Kompromiss. Diese Form hat sogar eine eigene Bezeichnung: das Hamburger “Sie”. Einen anderen Kompromiss ist das „Münchner Du”, auch “Kassererinnen- Du“ genannt, wie in: „Schumacher, kannst du mal herkommen!” oder „Frau Meier, wo hast du denn die Tomaten hingestellt?” Es gibt sogar noch das Berliner „Er” oder „wir” statt Sie oder du wie in: „Na, da hat er aber einen Fehler gemacht!” oder „Wollen wir das noch einmal machen!”.
In vielen Betrieben sind also die Konventionen der Ansprache für Außenstehende anfangs nicht eindeutig. Zu Beginn sollte man genau zuhören oder am besten direkt fragen. Es können nur ein paar Faustregeln gegeben werden.
Faustregeln bei der Arbeit
- Ganz allgemein gilt nach wie vor: Das „Sie” steht für höfliche Distanz und Respekt und ist auf alle Fälle erst einmal die Nummer Sicher. Das „du” steht für Vertrautheit und Nähe. Ältere Kolleg:innen sollte man in der guten alten Knigge–Manier vorsichtshalber erst einmal siezen und warten bis sie ihrerseits das „du“ anbieten. In der älteren Generation gibt es durchaus Menschen, die pikiert reagieren könnten, wenn man sie gleich duzt. Das Gleiche gilt auch für Vorgesetzte.
- In allen amtlichen und offiziellen Bereichen sollte man als Außenstehende:r alle siezen, egal wie jung oder cool das Gegenüber aussieht. Hier sind die alt hergebrachten klassischen Konventionen noch angesagt.
- Bei einem Vorstellungsgespräch sollte man ebenfalls siezen und nur wenn es die Interviewer anbieten auf „du“ wechseln.
- Prinzipiell empfehlenswert in der ersten Zeit in einer Firma ist es, ganz einfach zu fragen:
„Duzt man sich hier oder siezt man sich?“
- Kunden werden gesiezt. Es sei denn- in den Firmenregeln wird es anders definiert. (Kinder dürfen geduzt werden. Jugendliche ab 14 Jahren sollten vorsichtshalber auch gesiezt werden).
- Wenn es nicht direkt geklärt wurde, sollte man als Neuling bei der Arbeit erst einmal aufmerksam zuhören, was in der Firma üblich ist bzw. wie einzelne Kolleg:innen angesprochen werden wollen.
- Falls ältere Kolleg:innen das „du“ angeboten haben, sollte man es auch ruhig annehmen. Denn bleibt man trotzdem beim „Sie“, dann könnte der/die Kolleg:in es als mangelnde Sympathie interpretieren oder sie/er fühlen sich dann sehr alt.
- In der Art, wie sich jemand vorstellt, kann man manchmal raushören, welche Ansprache gewünscht ist. „Ich bin (die) Anna.” ist eine indirekte Aufforderung zum „du“. „Ich heiße Anna Maier” klingt nach einem „Sie“. Mein Name ist Maier, Anna Maier” ist ein eindeutiges „Sie“.
- Unter jüngeren Kolleg:innen wird oft geduzt aber nicht immer: es kommt ganz auf die Branche an. Falls es bei der ersten Begegnung noch Unklarheiten gibt, ist es vielleicht besser zu siezen und das Risiko einzugehen, etwas antiquiert zu wirken. Aber auch hier gilt: bei Unsicherheit am besten nachfragen!
- Man kann das Angebot zum „Du“ natürlich ablehnen, sollte es dann aber entschuldigend und höflich erklären, damit es nicht als Abweisung oder mangelnde Sympathie interpretiert wird. Beispiel: „Seien Sie bitte nicht böse, aber ich bin es in meinem Heimatland gewohnt zu siezen“
Last but not least sei noch zum Trost erwähnt: wenn man sich einmal auf das „du” geeinigt hat, dann bleibt es für den Rest des Lebens!
Tipp für das Email-Schreiben: Die formale direkte Anrede „Sie” (+ Dativ „Ihnen” + Personalpronomen Ihr/e/n etc.) wird immer mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben, damit man es nicht mit der dritten Person Plural „sie” verwechselt. Das „du/Du” bzw. Im Plural „ihr/Ihr” nebst den dazugehörigen Pronomen brauchen nicht groß geschrieben zu werden, können aber laut DUDEN auch großgeschrieben werden.